Mythos Jakobswege
Eine europäische Kulturstraße
Seit mehr als tausend Jahren locken die Wege der Jakobspilger Reisende aus aller Welt über die europäischen Routen zur Grabesstätte des Apostels Jakobus in Santiago de Compostela. Schon im Mittelalter bildeten sich in der heutigen Region Saar-Lor-Lux und Elsass Ausgangs- und Sammelpunkte für Jakobspilger, denn hier kreuzten sich mehrere bedeutsame Wegeachsen. Die Wege der Jakobspilger haben ihre Anziehungskraft bis heute nicht verloren. Die Menschen ziehen heute mehr denn je Lebensfreude aus den spirituellen Erfahrungen, die sie während des Pilgerns auf den „Sternenwegen“ und in den Begegnungen unterwegs mit den vielfältigen Kulturlandschaften gewinnen.
Das gesamte Wegenetz der Jakobspilger verästelt sich auf rund 100.000 Kilometern organisch durch ganz Europa.
Wege der Jakobspilger durch Europa (offizielle Karte des Europarates)
Sehnsuchtsziel – Santiago de Compostela
Sehnsuchtsziel aller Jakobspilger ist etwa seit dem 9. Jh. Santiago de Compostela mit dem Grab des Apostels Jakobus. Dieser soll auf der Iberischen Halbinsel missioniert haben und nach seiner Enthauptung in Jerusalem durch Herodes um das Jahr 44 nach Spanien überführt worden sein. Über die Auffindung des als verschollen gegoltenen Grabes gibt es viele Varianten. Nach einer Version wurde um 813 das Grab durch einen Einsiedler, der sich von Sternen leiten ließ, auf dem Campus Stellae (lat. Sternenfeld) in Galicien entdeckt. Die Entdeckung des Grabes auf der Iberischen Halbinsel in Galicien und die dadurch ausgelöste Pilgerbewegung kann jedoch nur im Zusammenhang mit der im 8. Jh. beginnenden Wiedereroberung, der sogenannten Reconquista, gelesen werden. Die Araber aus Nordafrika, die Mauren, hatten im Jahre 711 in einer einzigen Schlacht diesen spanischen Teil, der bereits zum christlichen Westgotenreich gehörte, erobert. Dieser „Heilige Krieg“ überschattete Spanien und die Jakobspilgerschaft 800 Jahre bis in das Jahr 1492.

„Sternenweg“ – „Caminus Stellarum“
Die Verwendung des Sterns als neben der Muschel zentrales Symbol des Jakobskultes ist historisch inspiriert: Am Sternenhimmel sieht man in klaren Nächten einen bandförmigen Arm unserer Spiralgalaxie, der im Allgemeinen auch als Milchstraße bezeichnet wird. Sie beschreibt einen Bogen, der sich über Europa von Nordosten nach Südwesten zieht und auf Spanien hindeutet. Im Mittelalter sah man darin auch einen kosmischen Hinweis auf das Jakobusgrab. Viele Galicier sprechen immer noch von der „Milchstraße“, wenn sie vom „Camino“ reden. Alternative Namen wie „Caminus Stellarum“ oder „Camino de las estrellas“ sind seit dem Mittelalter für den Jakobsweg bekannt.
In verschiedenen Überlieferungen wird auf diesen Zusammenhang des Jakobsweges zu den wegweisenden Sternen Bezug genommen: Karl dem Großen soll beispielsweise in einem Traum der Apostel Jakobus und ein durch Sterne gekennzeichneter Weg zum Grab des Heiligen erschienen sein.

Jakobsmuschel – Attribut des Apostels
Die Jakobsmuschel ist seit dem Mittelalter das zentrale Attribut des Apostels Jakobus. An ihr erkennt man den Glaubensboten und in seiner Nachfolge alle Jakobspilger. „Pecten Maximus“ ist die Bezeichnung für diese Flachmuschel der europäischen Atlantikküste, die als Jakobsmuschel in Darstellungen von Jakobspilgern zu sehen ist und spätestens ab dem 12. Jh. von Santiago de Compostela mit nach Hause gebracht wurde. Gleichzeitig ist sie das wichtigste symbolische Attribut in den mittelalterlichen Darstellungen des Heiligen Jakobus.
Auch kunstfertige Verkleinerungen der Jakobsmuschel, z.B. aus Gagat, einem Halbedelstein aus fossilem Holz, wurden an Schnüren aufgereiht und auf der Pilgerfahrt mitgeführt oder als Devotionalie von der Pilgerfahrt mitgebracht. Solche Gagatperlen mit Jakobsmuscheln wurden bei einer mittelalterlichen Bestattung in der Stiftskirche von Saarbrücken gefunden. Zur Ausstattung eines mittelalterlichen Jakobspilgers gehörten außerdem ein Wettermantel, die sogenannte Pelerine, ein breitkrempiger Hut, ein Pilgerstab sowie eine Trinkflasche, die sogenannte Gurde. Die mitgeführte Jakobsmuschel konnte außerdem zum Schöpfen von Trinkwasser genutzt werden.

Spiritualität – Wege der Erkenntnis und Einweihung
Eine Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela war immer ein Weg der Erkenntnis und der Einweihung in die Natur und die geistige Welt. Die europäischen Wege der Jakobspilger zu begehen, zählt bis heute zu den großen grenzüberschreitenden und verbindenden Erlebnissen in Europa. Vor diesem Hintergrund stehen die Wege der Jakobspilger heute auch für die geistigen Wurzeln Europas. Jährlich machen sich allein aus Deutschland etwa 800 000 Menschen auf die Wege in Richtung Santiago de Compostela.
